10. Tag: Lissabon; die Bar

Bin mit dem Rad vom Hafen in die Altstadt zum Bahnhof Lisboa Santa Apolónia. Dort habe ich das Rad angeschlossen und bin fast sechs Stunden durch Lissabon gelaufen und nicht müde geworden; das ist mir in letzter Zeit selten passiert. Die Stadt ist so schön, voller kleiner und kleinster Geschäfte, Cafés und Restaurants. Es gibt mehrere Läden, die nur Fischkonserven verkaufen, dies aber mit so schöner Präsentation, dass man es kaum glauben kann. Sie haben die Dosen mit verschiedenen Farben und Jahreszahlen versehen und in endlos viele Regalfächer sortiert, so dass man vor einem Regenbogen bunter Fischkonserven steht. In den Dosen sind dann irgendwelche Informationen enthalten, was zu den jeweiligen Jahren „Wichtiges“ zu sagen wäre. Ich bin in einen dieser Läden gegangen und habe mit den beiden jungen Verkäuferinnen gesprochen, die mir all dies erzählten, und dann ein Foto gemacht, das aber nichts geworden ist.
Ich habe mir im kleinsten Frisiersalon, den ich je betreten habe, die Haare waschen und schneiden lassen. Die cabeleireira war etwas jünger als ich, klein und pummelig, mit einem freundlichen Lächeln und einer Stimme, die wegen ihrer Rauigkeit sicher ordinär geklungen hätte, wäre sie nicht aus diesem sympathischen Gesicht gekommen. Ich habe ihr Fragen gestellt, sie hat wortreich geantwortet und ich habe fast nichts verstanden. Aber wir haben uns gut unterhalten. Danach habe ich zehn Euro bezahlt plus einen Euro Trinkgeld.
In dem kleinen Restaurant von gestern Abend habe ich ein Bier getrunken und zehn Euro gegeben, ohne Wechselgeld zu wollen. Die jungen Leute, die da bedienen, sind so freundlich und bescheiden, das ging mir ans Herz; ich wollte ihnen eine Freude machen.
An einem großen Platz bin ich in eine kleine Bar eingekehrt, weil ich etwas essen wollte. Das Gebäude wurde renoviert, der Eingang zur Bar war hinter Gerüst und Planen versteckt. Drinnen bis auf eine junge Schwarze nur Männer. Zwei Wände der Bar waren mit dunkelgrünen Fliesen bedeckt, die das spärliche Licht zu schlucken schienen. Der Boden und die Theke waren aus hellem Marmor.
Hinter der Theke tummelten sich drei Frauen und der Chef. Der war klein und alles an ihm war kurz und dick, bis auf den Kopf, der war nur dick. Auch seine Lippen waren dick. Seine Hände waren sehr dick und breit und die Finger ungewöhnlich kurz. Die Beine waren sehr kurz und auch die Arme. Die Ohren waren normal.
Er blickte durch seine fettige Brille mit viel Ernst und Wehmut in die Welt. Ich habe ihn in der Dreiviertelstunde, die ich in dem Raum verbrachte, nur einmal lachen sehen, als er einem Bekannten, den er mehrfach am Arm fasste, etwas erzählte. Er redete mit hoffnungslosem Tonfall, bewegte sich wie erschöpft.
Ich bestellte eine Suppe, die er mir in die Tasse schöpfte, ohne hinzusehen, und beobachtete, wie einer der alten Männer einen Kaffee prüfte, den man vor ihn hinstellte. Er nahm den winzigen Espressolöffel, schöpfte Kaffee aus der Tasse und betrachtete die Flüssigkeit. Sie schien ihm nicht zu gefallen. Er sprach die Bedienung hinter der Theke an, die freundliche junge Schwarze. Sie schaute auf den Löffel, schaute ihn an, wieder auf den Löffel. Er sagte etwas und legte den Löffel auf die Untertasse. Sie zuckte die Schultern, braute einen neuen Kaffee und stellte ihn neben den ersten. Er prüfte den neuen Kaffee auf die gleiche Weise. Die Chefin hielt in ihrem Tun inne und sah ihn an. Er nickte und sie machte weiter und die Schwarze goss seinen alten Kaffee weg. Niemand regte sich auf.
Die Männer hatten weißes Haar, bis auf einen. Alle hatten Bärte, bis auf einen. Später kamen einige Frauen herein, auch alle älter. Die hatten keine Bärte. Bis auf eine. Drei Männer standen an der Bar, zwei saßen an den Tischen. Sie aßen, tranken und sagten nur das Notwendigste. Sie nahmen keine Notiz von den Frauen, die ununterbrochen redeten, sich umsahen und an den Armen hielten und gleich wieder zurück ins Licht flatterten.
Der Chef nahm einen Notizblock und folgte den Frauen mit schweren Schritten nach draußen, wo einige Tische vor dem Baugerüst in der Sonne standen.
Ein anderer Gast saß an dem Tisch neben mir. Er aß unentwegt. Nach einem Brötchen mit Schinken, zu dem er ein Wasserglas randvoll mit Rotwein trank, bestellte er ein Ei. Ständig warf er benutzte Servietten in die kleinen Abfalleimer entlang der Theke, traf aber meist nicht. Er stand nicht auf, um die Servietten in den Eimer zu tun. Seine leere Mayonnaiseflasche landete direkt vor den Füßen eines Gastes, der an der Theke stand und ein Brötchen aß. Der Esser machte eine Geste, die sein Bedauern über den Fehlwurf ausdrückte, und pellte das Ei. Als er es zum Munde führte, hielt er inne und roch daran. Sein Gesicht verzog sich. Er ging zur Theke und bat die Bedienung, an dem Ei zu riechen, es sei nicht in Ordnung. Die junge Schwarze lachte, nahm das Ei und warf es gleich in den Abfall. Sie gab ihm ein anderes und wandte sich wieder ihrer Arbeit zu.
Der Mann aß sein Ei mit Salz und Pfeffer und ließ sein Wasserglas noch einmal mit Rotwein füllen. Die Frau füllte es bis an den Rand. Er balancierte es vorsichtig an seinen Tisch und nippte davon. Als er mit dem Ei fertig war, bestellte er ein weiteres Gebäck und wenig später noch ein halbes Glas Rotwein.
Ich hatte eine Suppe mit Kohl, roten Bohnen und Nudeln und danach ein Stück gebackenen Fisch, denn der Obstsalat war ausgegangen. Dazu einen Vinho Verde. Auch mein Glas war randvoll.
Der Chef kam herein und gab die Bestellungen von draußen weiter. Die Bedienung holte mehrere Schnapsgläser und füllte sie aus eine großen Likörflasche, in der einige Dutzend Kirschen in Alkohol eingelegt waren. Sie ließ in jedes Glas zwei Kirschen rutschen und füllte auch diese Gläser bis an den Rand. Es war unmöglich das Tablett zu tragen, ohne davon zu verschütten. Der Chef nahm es auf und ging hinaus.
Der Kaffeeprüfer bestellte ein Bier. Der Chef kam zurück und wischte mit einer Serviette über das Tablett, wobei er fast nichts von dem Likör entfernte, der darin schwamm. Die Bedienung stellte das Bier auf die Theke. Der Chef sah, dass der Pegel eine Daumenbreite unter dem Rand des Glases war und bat die Bedienung nachzuschenken. Sie füllte es auf, wobei viel Schaum aus dem Glas lief, und stellte es vor dem Gast wieder auf die Theke. Der Chef nahm es in die Hand, drehte es hin und her und stellte es ein Stück näher an den Gast.
Die Chefin ging auf die Toilette, die neben dem Eingang war. Dabei sah sie die leere Mayonnaiseflasche auf dem Boden und stellte sie auf die Theke. Die vielen Servietten neben den Abfalleimern ignorierte sie. Die junge Schwarze nahm die Mayonnaiseflasche und warf sie in den Abfall.
Ich stand auf, bezahlte und ging hinaus in die Nachmittagssonne. Eine Stadt, die solche Bars, solche Menschen hervorbringt, musste ich mir unbedingt anschauen. Ich wurde nicht enttäuscht.


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