Tja, und dann kam Corona – und ich war von einem Tag auf den anderen meinen Job los. Am Montag, 16.3., hieß es, wir machen morgen zu. Ich arbeite auf Rechnung, also: keine Arbeit, keine Rechnung. Keine Rechnung, kein Geld. Nicht das erste Mal, und wohl auch nicht das letzte Mal. Nicht so schön.
Und trotzdem fühlte ich mich – bei aller Überraschung – erleichtert. So viel Zeit für mich, für meine Projekte und Ideen!
Ein Segen, dachte ich.
Jetzt kann ich endlich meinen Roman weiterschreiben. Aufräumen. Nix tun. Einen Blog anfangen, in dem ich meine Kurzgeschichten posten kann. Vielleicht gefallen sie ja jemandem. Oder ein Verlag wird auf mich aufmerksam.
Im Juni ging es weiter mit der Arbeit, aber im August ist es damit leider vorbei. Was ich dann mache? Mal schauen. Irgendwas wird sich finden.
Ich habe meinen VW-Bus mit Regalen, Tisch und Bett und Licht versehen, so dass ich darin übernachten kann. Einen Kocher und eine Kühlbox sind mit an Bord, so lässt es sich aushalten. Vielleicht fahre ich ein bisschen durch Europa.
Oder ich habe Glück und ein Sender finanziert mir mein Filmprojekt, das ich vorhabe. Aber darüber schreibe ich erst, wenn das Konzept steht und ich mit einem Sender gesprochen habe.
Wenn ich Zeit habe (und ich achte darauf, dass ich viel Zeit habe), dann schreibe ich. Oder tue nix. Das heißt, es sieht so aus, als täte ich nix, aber eigentlich passiert immer was, innen drin.
Würde mich interessieren, was du von meinen Geschichten hältst. Schreib mir mal (unter KONTAKT) oder hinterlasse einen Kommentar.
Eine dünne Wolkenschicht verdeckte die Sonne, blendend weiß lag der Himmel über der Welt wie ein Laken. Zu hell für seine alten Augen. Er hielt den Blick auf den Felsboden vor seinen Schuhen
gerichtet. Der Weg war schmal und steinig, zu beiden Seiten fiel der Berg steil ab. Der Sog der Tiefe half ihm, sich zu konzentrieren.
Hinter sich hörte er sie atmen, ihre Schritte, den hellen Ton des Bergstocks auf dem Fels. Sie hatte sich wieder gefangen, nachdem sie gestolpert war. Wohl eine ganze Stunde hatten sie dort
gesessen, um den Schreck zu verwinden. Beinahe war sie abgerutscht. Das war ihr nie zuvor passiert. Aber sie war auch nie zuvor dreiundsechzig gewesen.
Er blieb stehen und schaute nach ihr. Sie sah ihn an, lächelte und nickte. Er nickte zurück und sie gingen weiter.
»Diese Nadel werde ich nie vergessen«, sagte er und legte den Handbohrer zur Seite, ein kleines Gerät mit Kurbel aus der Zeit nach dem Krieg.
»Ich auch nicht«, sagte sie.
Sorgsam drückte er eine Stecknadel in das winzige Loch, das er soeben in den Globus gebohrt hatte.
Er nahm ihren Duft wahr, fein und flüchtig. Sie trat hinter ihn, legte eine Hand auf seine Schulter und sah ihm zu. Sie liebte es, wie seine Hände mit Dingen umgingen. Selbst kleinste
Zerbrechlichkeiten waren sicher darin aufgehoben.
Er trat ein Stück zur Seite, so dass sie einen besseren Blick auf den Globus hatte, der auf dem Schreibtisch stand. Dutzende bunter Stecknadeln bedeckten seine Oberfläche.
»Wo wir schon überall waren«, sagte sie und zupfte ihn am Ohr.
Seine Hand griff nach ihrer und drückte sie.
»Und es gibt noch so viel zu sehen.«
Sie legte ihren Kopf an seine Schulter und betrachtete die Weltkugel.
»Die Welt ist so schön«, seufzte sie.
Seine Hand drehte den Globus.
»Und wohin soll’s das nächste Mal gehen?«
Sie schloss die Augen und wartete auf das vertraute Quietschen, mit dem der Globus zu stehen kam. Mit dem Zeigefinger ertastete sie einen Punkt auf der Erdkugel.
»Hierhin«, sagte sie und öffnete die Augen.
Seine Augenbrauen hoben sich.
»Patagonien«, sagte er. »Die große Einsamkeit.«
»Nicht mit mir«, sagte sie.
Ihre Augen suchten seine und ihre Lippen fanden sich.
Er knüllte die Postkarte zusammen und warf sie in die Leere des Wohnzimmers. Karten und Briefe lagen auf dem Schreibtisch, wohl zwei Dutzend Kuverts mit schwarzem Rand. Er packte den Stapel und
ließ ihn in den Papierkorb fallen, ohne auch nur einen zu lesen.
Sein Blick fiel auf den Globus, ein dunkler Schatten am Rande des Schreibtischs. Rasch stand er auf, musste hinaus aus der Wohnung. Ihm war, als erstickte er.
»Opa, schau mal!« rief der Kleine. »Ich hab’ Omas Namen geschrieben!«
Er kam soeben mit belegten Broten aus der Küche und stellte sie auf den Tisch im Wohnzimmer, wo eine Stehlampe ihren gelben Schein über Möbel und Teppiche warf. Auf dem lederbeschlagenen
Schreibtischstuhl kniete sein Enkel und beugte sich über die Arbeitsfläche. Er war sieben und kannte schon fast alle Buchstaben.
»Lass uns essen«, sagte er, »es ist Zeit.«
Der Junge sah ihn nur an. Er seufzte und ging hinüber. Über seine Schulter blickend sah er, dass der Kleine alle Stecknadeln aus dem Globus gezogen und mit ihnen das Wort »OMA« gelegt hatte. Er
erstarrte.
»Und jetzt schau, was passiert, wenn ich ihn anmache!«
Der Kleine drückte den Schalter. Der Globus leuchtete in sanftem Meerblau und Ocker. Wo vorher die Nadeln gesteckt hatten, erstrahlten verstreut über die ganze Welt winzige, helle Punkte, die
Ziele seiner Reisen mit ihr.
»Wie Sterne auf der Erde!«
Der Kleine sah ihn begeistert an.
Er schaute auf den Globus und schwieg benommen.
»Opa?«
Er schluckte.
»Gefällt es dir, Opa?«
Er brachte ein Nicken zustande. Seine Hand legte sich auf die Schulter des kleinen Jungen, sanft und weich und warm, als wäre es ihre Hand.
»Ja«, flüsterte er, »richtige Sterne.«
Er stand über den leuchtenden Globus gebeugt, vorsichtig nach den Sternen tastend. Wie von selbst schmiegte sich eine Hand an seine Wange und zupfte ihn am Ohr. Ihm war, als wäre da ein
flüchtiger Hauch, ein Duft, den er liebte und so sehr vermisste.
Über Patagonien begann es zu regnen.