Abstand von der Macht

Viktor Orbán, Ministerpräsident von Ungarn, hat sich weitreichende Machtbefugnisse zusichern lassen. Er nutzt die Krise, um demokratische Prinzipien der Machtkontrolle von Regierenden durch das Parlament zu unterlaufen. Und das ungarische Parlament hat mitgespielt.

Das erinnert an die Situation in Deutschland, die es möglicht machte, dass Adolf Hitler legal an die Macht kam. Die Demokratie hatte sich damals selbst abgeschafft.

Notstandsgesetze sind nötig, wenn Not herrscht. Ein Mensch wie Orbán sieht diese Not gegeben, unabhängig von einer Krise, bis er seine Ziele erreicht hat. George W. Bush sah das wahrscheinlich ähnlich. Sein Vize Dick Cheney hatte all seine Kraft dafür aufgewendet, dem Präsidenten mehr direkte Entscheidungsbefugnisse zu beschaffen, die ihm seiner Meinung nach zustünden ("Unitary Executive Theory"). So hätte er seinen enormen Einfluss auf den Präsidenten noch mehr nutzen können.

In den USA wird das Prinzip der Notstandsgesetze seit langer Zeit missbraucht. Gleich mit seinem Amtsantritt 1933 rief Präsident Roosevelt den nationalen Ausnahmezustand aus. Der wurde dann nicht mehr zurückgenommen.

"A majority of the people of the United States have lived all of their lives under emergency rule”, sagte Charles McCurdy Mathias Jr., als er 1973 dem US-Senat die Ergebnisse seiner Sonderuntersuchungskommission vorlegte. Sie hatte untersucht, wie viele Verordnungen, Erlasse und Gesetze unter dem Notstandsgesetz ("Emergency Act") in Kraft gesetzt worden waren und welchen Einfluss das hatte auf Politik und Gesellschaft. Es waren über 470 zeitlich unbegrenzte Dekrete, bei lediglich 4 zeitlich begrenzten. Der National Emergencies Act vom 14.9.1976 war dann der Versuch, mit diesem Missbrauch aufzuräumen. Er annullierte so gut wie alle bis dahin in Kraft befindlichen Ausnahmezustände.

Das zeigt, wie wichtig es ist, dem Ausnahmezustand ein Ende setzen zu können. Die Ungarn haben diese Chance vorläufig verspielt.

Auch die Macht des US-Präsidenten ist nicht uneingeschränkt. Der Supreme Court, vergleichbar unserem Verfassungsgericht, legte 1952 fest, dass seine Macht entweder durch ein Gesetz des Kongresses oder aus der Verfassung (constitution) legitimiert sein müsse (“President’s power must stem either from an act of Congress or from the Constitution itself”). *

In Frankreich herrschte nach einem Terroranschlag vom 13.11.2015 bis zum 31.10.2017 im Ausnahmezustand, das sind 719 Tage. Macron übernahm die Leitung des Landes unter diesen Bedingungen. *

Ein Volk in Angst lässt sich leichter regieren. Aber Angst als Dauerzustand ist schädlich für jeden Organismus, auch für einen Staat. Und den Verlockungen der Macht, der Anhäufung von Macht haben zu Viele nicht widerstehen können. Auch hier ist Abstand ein Zeichen von Anstand.

Wir Deutschen sind da ganz besonders vorsichtig. Unser politisches Erbe hat uns sensibilisiert für die Gefahren, die mit dem Ausnahmezustand einhergehen können. Daher empfinde ich das Vorgehen Orbáns und das Verhalten des ungarischen Parlaments als unverantwortlich.

Es muss Konsequenzen seitens aller anderen EU-Länder geben. Ungarn ist nicht unabhängig vom Rest der Welt. Wir sollten nicht auch noch Machtmissbrauch pandemisch werden lassen.

 

* Quelle: Mathias Lemke, Demokratie im Ausnahmezustand.

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