Die Langeweile der Perfektion

An Tagen wie diesem fahre ich gerne mit dem Motorrad, wenn etwas zu erledigen ist. Die alte Yamaha TDM 850 sieht ziemlich mitgenommen aus, schließlich hat sie 28 Jahre auf dem Buckel. Aber sie fährt sich gut. 

Manchmal, wenn ich neben anderen Motorrädern parke, staune ich über die blitzblanken, supermodernen Maschinen, mit denen die Anderen unterwegs sind. Boliden mit 130 PS oder mehr, futuristischem Styling und elektronischen Assistenten wie in modernen Autos. Die kosten zum Teil über zwanzigtausend Euro.

Keine davon würde mir gefallen.

Ich mag meine alte Karre, obwohl sie hässlich ist. Oder vielleicht deswegen? Sie schnurrt nicht, sie knurrt. Sie liegt nicht auf der Straße wie eine Eins, sie wankt und schwankt und fühlt sich manchmal an, als würde was nicht stimmen. Kann gut sein.

Aber sie lässt mich nicht im Stich. 

Ein perfektes Motorrad finde ich langweilig. Ich kann selber nicht genau sagen, warum. Vielleicht, weil ein perfektes Motorrad eine gekaufte Perfektion darstellt, etwas, für das ein ungeheurer Aufwand getrieben werden musste. Dabei weiß ich es durchaus zu schätzen, wenn sich jemand ganz einer Sache hingibt, um sie perfekt zu machen. So perfekt wie eben möglich.

Aber so etwas zu kaufen, das ist, als hätte man sich selbst nicht bemüht. Man kauft sich etwas, das Andere gemacht haben. 

Natürlich geht es nicht anders. Ich könnte kein brauchbares Motorrad bauen. 

Aber mir geht es nicht ums Motorrad, sondern um die Haltung. Mit Handys, Uhren, Autos, Häusern, Kaffeemaschinen ist es nicht anders: Wir nehmen das Beste, das wir bekommen können. 

Aber nicht nur die Dinge werden langweilig, auch Menschen, die immer das Beste für sich beanspruchen, sind langweilig. Es liegt eine gewisse Ignoranz in ihrer Haltung. Sie wissen nichts von Mangel, von Hunger, von Armut. Sie glauben, das Beste stehe ihnen zu.

Ich erinnere mich an die Diskussionen, als Nokia aus Bochum wegging und Tausende Arbeitsplätze verloren waren. In einem Gespräch sagte jemand, man sollte sie eigentlich boykottieren. Dann zuckte er die Schultern und meinte, aber sie würden ja die besten Handys bauen. Ich war sprachlos.

Was ist so wichtig daran, immer das Beste zu haben? Ja, es macht Freude, etwas Gutes zu benutzen. Muss es aber gleich das Beste sein, das man bekommen kann? Mich macht es nicht besser. Mir reichen die Dinge, die das leisten, was ich will und brauche. Gut sollen sie darin sein, mehr nicht. Alles, was darüber hinaus geht, erfordert unnötig viel Aufwand und Ressourcen. Die könnte man viel sinnvoller einsetzen. 

Unzufriedenheit mit dem Zweitbesten macht mich argwöhnisch. Und der Drang, um sich herum alles Mögliche zu optimieren. Wohl um sich selbst nicht ändern zu müssen, weil doch alles so perfekt ist. Aber wenn das Perfekte dann normal ist, nichts Besonderes mehr, was dann?

Wir müssen damit leben, dass alles, was wir erfahren, auch das Extremste, irgendwann zur Normalität wird, wenn es sich nur oft genug wiederholt. Unser Erlebnisgefühl justiert sich neu, und dann suchen wir etwas, das die Normalität übersteigt, das uns einen Reiz vermittelt, den das Normale nicht (mehr) gibt.

So sind wir. Wir geben jedes Jahr zig Milliarden für Urlaub, Unterhaltung und Konsum aus. 

Zugleich stirbt alle drei Sekunden ein Mensch an Hunger. Immer noch. Jeden Tag. Ich kann das einfach nicht vergessen. Auch wenn ich es nicht ändern kann. 

Selten nur, sehr selten, fahre ich mit dem Motorrad ohne Zweck, einfach aus Freude am Fahren. Es käme mir nicht in den Sinn, stundenlang Benzin zu verbrennen, um irgendwo einen Cappuccino zu trinken und wieder nach Hause zu fahren. Mit zwanzig war das ein Kick, ein Erlebnis. Heute nicht mehr.

 

 

 


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