Hilfe!

Ich hatte Feierabend und ging hinaus auf den Parkplatz. Endlich Wochenende. Die Sonne brannte herunter. Ich ging zu meinem Motorrad, legte das Handy auf die heiße Sitzbank und öffnete den Koffer. Eine ältere Frau saß in ihrem Opel gleich daneben. Sie hatte die Fenster heruntergekurbelt und sah mir zu, wie ich die Jacke überstreifte, Helm und Handschuhe. Den Zündschlüssel gedreht und weg war ich.
Daheim setzte ich mich in einen Stuhl, trank etwas Kaltes und drohte bald darauf einzunicken. Ich sollte mir den Wecker stellen, dachte ich, und suchte mein Handy. Es war nirgends zu finden. Mir fiel der Parkplatz ein.
O nein, dachte ich, wenn das jetzt jemand findet und einsteckt!
Im Internet konnte ich über die Suchfunktion aufrufen, wo sich mein Apple-Handy befand. Auf der Karte wurde ein Punkt angezeigt, wo es zu finden sein musste, etwa 150 Meter vom Parkplatz entfernt. Der Punkt bewegte sich nicht. Jemand nusste es mitgenommen haben.
Ich sprang auf, streifte die Jacke über, Helm und Handschuhe und weg war ich. Viel schneller als ich gekommen war fuhr ich wieder zurück, schimpfte über meine Gedankenlosigkeit.
Auf dem Parkplatz schaute ich mich um, aber es war kein Handy zu sehen. Die Frau mit ihrem Opel war immer noch da. Ich holte mein iPad heraus und orientierte mich. Eine Straße weiter musste es sein. Ich ging los, fand die Straße, mehr ein Weg, und folgte ihr. Es war nicht ganz klar, wo ich suchen musste, aber wahrscheinlich in einem der Reihenhäuser. Ich klingelte, befragte Bewohner, niemand hatte ein Handy gefunden.
Vielleicht in den Gärten dahinter? Ein Schüler, der es gefunden und wieder weggeworfen hatte?
Ich sprach einen jungen Mann an, der mit einer Schubkarre vorbeikam, zeigte ihm die Karte, fragte, wo das sein könnte. Er hielt an, orientierte sich, wies dann auf  einen älteren Mann, der vor seiner Garage eine Motorsäge reparierte. Ich dankte und ging hinüber. Der Mann hörte mich an und sagte, er habe nichts gefunden, meinte aber, dass Schüler oft etwas wegwerfen würden.
»Ich hab schon die seltsamsten Sachen auf den Garagen gefunden«, sagte er und versprach sich umzuschauen. »Versuchen Sie es mal drüben in der Schule.«
Ich dankte und ging weiter zu der Gesamtschule hinter den Häusern, fragte mich zum Hausmeister durch, der in seinem Büro mit anderen Männern plauderte, und brachte mein Anliegen vor. Er steckte sogleich sein Handy ein und ging mit mir hinaus. Wir versuchten zu lokalisieren, wo der Punkt auf der Karte in der rauen Wirklichkeit sein konnte.
»Kennen Sie die Nummer auswendig«?, fragte der Hausmeister.
Ich nannte sie ihm. Er wählte und wir lauschten. Die Motorsäge brüllte auf, wir konnten nichts Anderes mehr hören. Als sie verstummte, gingen wir zu dem Mann und sprachen mit ihm. Er holte seine Leiter und kletterte auf das Dach einer der Garagen und von dort weiter über die anderen Garagen.
Der Hausmeister wählte fleißig meine Handynummer, aber es war nicht zu hören. Er rief mir etwas zu und ich ging zu ihm hinüber.
»Ich habe eben eine SMS bekommen«, sagte er.
Ich schaute auf sein Display. »I will call you back« stand da. Wir sahen uns an, er zuckte die Schultern.
»Ich versuch’s weiter«, sagte er und wählte wieder.
Ich ging zu der Rettungsstation der Feuerwehr, die gleich neben den Garagen war. Aber auch dort war nichts gefunden oder abgegeben worden.
Als ich zurück kam, hob der Hausmeister die Hand.
»Ich weiß, wo es ist!«, rief er. »Die Frau Kelter hat es !«
Er zeigte auf das Haus, wo Frau Kelter wohnte.
»Sie ist drangegangen und hat mir gesagt, dass sie ein Handy gefunden hat.«
Er hatte bestimmt eine halbe Stunde mit mir verbracht.
Ich bedankte mich herzlich bei ihm und ging zu dem Haus. Sechs Schilder mit Namen las ich, und tatsächlich, hier wohnte eine Frau Kelter. Ich klingelte und wartete auf den Türöffner. Es summte, ich trat in den Flur.
Im Erdgeschoss öffnete sich eine Wohnungstür und eine Frau in den Sechzigern erschien.
»Haben Sie mein Handy gefunden?«, fragte ich.
»Ja«, sagte sie und reichte es mir. »Ich wusste nicht, wie man das bedient, deshalb hat es so lange gedauert, bis ich den Anruf entgegennehmen konnte. Ich kann nicht lesen und schreiben und habe nur so ein altes Ding.«
Ich bedankte mich bei ihr. Sie winkte ab, sagte, sie hätte das Handy am Montag zum Fundamt gebracht.
»Kann ich Ihnen etwas Gutes tun als Dankeschön?«, fragte ich. »Eine Flasche Wein vielleicht?«
»Oh, das wäre schön«, sagte sie. »Weiß, halbtrocken, das wäre mir am liebsten.«
Ich versprach es, dankte noch einmal und wünschte ihr ein schönes Wochenende. Dann gingen wir auseinander.
Zurück auf dem Parkplatz schob ich erleichtert mein Handy in die Jackentasche, zog den Reißverschluss zu und streifte den Helm über. Die Frau mit dem Opel ging um ihr Auto herum, hatte die Türen offen und den Kofferraum.
»Was ist los?«, fragte ich. »Warum fahren Sie nicht?«
»Das Auto springt nicht an«, sagte sie.
»Darf ich mal schauen?«, fragte ich.
Sie nickte. Ich probierte es; die Batterie war komplett entladen.
»Ich kann Ihnen leider nicht weiterhelfen«, sagte ich. »Wäre ich mit dem Auto hier, könnte ich Ihnen Starthilfe geben, aber mit dem Motorrad…«
»Gleich kommt ein Bekannter, der hat eine Werkstatt. Aber danke, dass Sie es versucht haben.«
»Gern«, sagte ich.
»Sie sind in Ordnung«, sagte sie, »das habe ich gleich gesehen. Sie arbeiten hier, nicht?«
Ich nickte.
Wir sahen uns an. Sie war mir sympathisch.
»Ich lege Karten«, sagte sie. »Und ich kann aus der Hand lesen.«
Bevor ich etwas sagen konnte, nahm sie meine Hände und hielt sie vor sich.
»Sie sind dünnhäutig«, sagte sie. »Da ist noch was im Umbruch, eine Veränderung, die noch kommt.«
»Wieder mal«, sagte ich.
Sie sah mich an.
»Geschieden«, sagte ich. »Burn-Out, Neuanfang, ich mache alles ganz anders jetzt. Nur noch das, was ich gut finde.«
Sie schaute wieder auf meine Handflächen.
»Da sind einige Veränderungen zu sehen. Aber es wird gut.«
»In Ordnung bin ich eigentlich nicht«, sagte ich. »Eher in Unordnung.«
»Das findet sich«, sagte sie.
Sie sagte mir einige persönliche Dinge, die mir bevorstünden, positive Dinge. Es hörte sich gut an.
Wir tauschten uns noch ein wenig aus, dann verabschiedete ich mich und fuhr davon. Es würde mich freuen, sie wiederzusehen.
Dank der Hilfe, die ich erfahren hatte, war alles gut geworden. Ich schwor mir, in Zukunft noch besser Acht zu geben, wenn ich etwas aus den Händen legte.
Erleichtert und dankbar fuhr ich davon.


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