Prioritätengrube

Ich gehe, wie jeden Morgen an Wochentagen, gegen viertel nach Acht zur Arbeit. Das heißt, ich komme eben um die hohe Hecke herum, die mein Gärtchen umschließt, als ich auf zwei Gestalten stoße, die nicht weniger stutzen als ich, dass da plötzlich jemand vor ihnen steht.

Der kleinere von ihnen, ein dünner Mann mit hagerem Gesicht, trägt auf  der Schulter eine Schaufel, die er mit der linken Hand ausbalanciert. Der größere, dicke trägt die Verantwortung. Wir bleiben vor einander stehen.

"Morgen", sage ich.

"Morgen", erwidern sie.

"Wir wollen den Wasserzähler einbauen", sagt der Dicke.

Ich kenne ihn, er ist der Bruder von dem Mann, der an der Rezeption arbeitet, ein freundlicher, hilfsbereiter Mensch. Einen Wasserzähler hat er nicht dabei.

Ich zucke die Schultern und gehe vor ihnen her zu der Wasserleitung, die schräg aus der Wiese ragt. Ein einfacher Wasserhahn in Kniehöhe, das ist mein Anschluss. Hier hole ich mein Wasser und trage es im Kanister in den Wohnwagen, zehn Liter. Die reichen dann für ein, zwei Tage.

Sie bleiben vor der schrägen Leitung stehen. Der Hagere stellt die Schaufel ab und fingert nach einer Zigarette. Sie überlegen, wo der Kanal, der gleich neben dem Wasser aus dem Boden ragt, und die Wasserleitung wohl verlegt sind.

Ich muss los und empfehle mich.

Am Nachmittag sehe ich, dass sie eine Grube ausgehoben haben, vielleicht siebzig mal fünfzig Zentimeter. Der Haufen mit dem Aushub liegt daneben. Zigarettenkippen in der Grube und in dem Wasserschälchen, das ich den Amseln hingestellt habe. Ich fülle neues Wasser ein und entsorge die Kippen.

Zwei Wochen lang schaue ich mir die Grube an, dann frage ich den Dicken, als ich ihm begegne, was jetzt mit dem Wasserzähler wird.

"Das wird noch dauern", sagt er. "Wir müssen erst die Kanalrohre sanieren, da läuft zu viel Regenwasser rein. Deshalb haben wir einen Bagger gekauft."

Ich nicke und gehe davon. Man muss Prioritäten setzen, und wenn es jeden Tag andere sind. In den Tagen darauf höre ich den Bagger immer wieder über den Campingplatz fahren.

Vergangene Woche war ein kleiner Bub mit einem Nachbarn zu Besuch. Ich hatte ihre Stimmen schon einige Zeit gehört. Dann wollten sie wissen, was auf der anderen Seite der Hecke ist, und kamen nachschauen. Es war warm und ich sagte dem Jungen, er könne die Grube gerne mit Wasser füllen und darin plantschen. Das ließ er sich nicht zweimal sagen. Er hat bestimmt eine ganze Stunde lang seinen Spaß gehabt.

So war sie wenigsten für etwas gut.

Mittlerweile sind fast vier Wochen vergangen, die Grube stört mich nicht mehr. Ich bin wirklich gespannt, ob es dieses Jahr noch klappt mit dem Wasserzähler. Den Bagger habe ich seit Tagen nicht mehr gehört oder gesehen.


Kommentar schreiben

Kommentare: 0