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7. Tag: Gaia

San Félix gehört zur Stadt Gaia (schöner Name), die über eine Anzahl schöner Sandstrände verfügt. Über eine Holzbohlenpromenade kann man am Strand entlang laufen, das ist sehr angenehm. Ich habe gleich neben der Promenade übernachtet, nicht weit von der Pizzeria entfernt.
Jetzt bin ich seit einer Woche unterwegs, etwa tausendsiebenhundert Kilometer gefahren und erst ganz im Norden von Portugal. Bis Faro sind es nochmals über fünfhundert Kilometer.
Am Morgen mache ich meinen Gang am Strand entlang, anschließend räume ich das Auto aus und suche den Fehler in der Elektrik. Ich finde nichts, aber ich ändere einige Details, bringe eine Sicherung an und schließe eine dritte Batterie an die zweite an. Beim Probelauf des Motors sehe ich, dass die Batterien geladen werden.
Während ich am Auto arbeite, kommt ein Mann etwa in meinem Alter und fragt „kaputt?“ Ich muss lachen, winke ab und sage in einer Mischung aus deutsch, englisch und portugiesisch, dass es nur ein elektrisches Problem ist, nicht wichtig, der Motor läuft. Er nickt.
„English?“ frage ich.
„Ich spreche Deutsch“, sagt er.
„Das macht es einfach“, sage ich.
Wir unterhalten uns ein wenig. Raúl ist mit seiner Familie 1972 nach Wiesbaden gezogen, 1975 wieder nach Portugal.
„Es gab eine demokratische Revolution, deshalb sind meine Eltern zurück gegangen.“
Er freut sich, sein Deutsch ausprobieren zu können. Wenig später lädt er mich ein, mit zu ihm nach Hause zu kommen, es gibt einen besonderen Fisch zu Mittag. Ich danke für die Einladung, möchte aber erst das Auto wieder in Ordnung haben. Zudem esse ich mittags eher wenig, dafür lieber abends. Er fragt, ob ich am Nachmittag noch da sein werde. Ich sage, wahrscheinlich ja, und ob ich ihn auf einen Kaffee einladen könne. Gern, sagt er, und er werde wiederkommen. Wir verabschieden uns, ich krieche wieder ins Auto.
Etwa anderthalb Stunden später sehe ich ihn auf der anderen Straßenseite halten und auf meine Seite beidrehen. Seine Frau sitzt neben ihm.
Ich winke ihr zu, gehe hinaus und begrüße sie. Sie steht auf Krücken, als sie ausgestiegen ist.
Raúl begrüßt mich und schenkt mir eine Flasche portugiesischen Rotwein. Er übersetzt, weil seine Frau kein Deutsch kann.
„Como te chamas?“ frage ich sie. „Wie heißt du?“
„Graça“, sagt sie.
Ich strecke ihr die Hand hin, doch sie lächelt und sagt etwas, wobei sie auf ihre Wange zeigt. Wir begrüßen uns mit Wangenkuss links, rechts. Ich mag sie auf Anhieb. Dann muss sie aber ins Krankenhaus zur Behandlung ihres Rückens. Raúl und ich gehen auf der Terrasse der Pizzeria einen Kaffee trinken und erzählen uns aus unserem Leben. Er liefert Mehlsäcke in die vielen kleinen Bäckereien, die es in der Gegend gibt, und beschreibt mit Gesten, wie er sie die Treppen hinaufträgt. Er ist sechsundfünfzig und sein Rücken macht die harte Arbeit nur noch unter Protest mit.
Er fragt, wie mir sein Land gefällt. Ich sage, es hat ein großes Herz, „um coração grande“. Er freut sich und nickt.
„Deine Frau hat auch ein großes Herz“, sage ich. „Das habe ich sofort gesehen.“
Er wiederholt das.
„Ja“, sagt er, „um coração grande. Eine gute Frau.“
Sie arbeitet im Krankenhaus als Büglerin.
Schließlich besteht er darauf zu bezahlen und verabschiedet sich, um seine Frau abzuholen. Der Abschied fällt ihm schwer, wir sind einander sympathisch und er bedankt sich, dass er Gelegenheit hatte, sein Deutsch an mir zu üben. Ich gebe ihm meine Visitenkarte, so dass er sich melden kann, wenn er mal nach Deutschland kommen sollte. Er ist sichtlich gerührt und meint, das werde wohl kaum passieren, denn er verdient nicht viel. Wir geben uns noch einmal die Hand, dann geht er davon, ohne sich umzudrehen.
Ich ordne die Sachen im Auto, die jetzt besser organisiert sind als zuvor, und fahre ein paar Kilometer weiter nach Espinho, das mir Raúl als hübschen Fischerort beschrieben hat: „So schön wie Wiesbaden.“
An einer Strandpromenade reihen sich Restaurants aneinander, alles kleine Häuschen. Kein Hochhaus. Ich gehe den Strand ab und über die Promenade zurück. Dies ist das Viertel der Pescadores, der Fischer. In den Straßen hinter den Strandrestaurants wohnen sie in kleinen Häuschen, im Abendlicht hängt die Wäsche zum Trocknen auf Leinen am Straßenrand. Männer und Frauen stehen oder sitzen beisammen und reden miteinander.
Zwei Kilometer weiter gibt es einen Strandparkplatz, wo ich das Auto abstelle und auf eine Buhne hinausgehe, um den Sonnenuntergang zu verfolgen. Die Wellen donnern gegen die Felsbrocken, Gischtfontänen sprühen hoch. Das ist es, weshalb ich so weit gefahren bin. Die Wucht des Meeres spüren, die Salzluft atmen, ganz weit draußen sein.
Anschließend gibt es die Pizzareste aus der Pfanne und einen Rotwein. Und das Meer rauscht dazu.


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